Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi spricht über Missbrauch und Unterdrückung im Iran"


Shirin Ebadi (69) ist iranische Rechtsanwältin, Menschenrechtlerin und Trägerin des Friedensnobel-preises von 2003. Im Jahre 2009 - nachdem die Grüne Welle (Green Wave), bekannt auch als Iranischer Frühling und die größte Friedensdemonstration nach der Islamischen Revolution - von den Staatsorganen Irans blutig niedergeschlagen wurde, geriet auch sie ins Visier. Sie wurde bedroht, weil sie Bahai-Mitglieder vor Gericht verteidigte. Ihre Tochter wurde verleumdet, indem das Regime verkündete, sie sei zum Bahai-Glauben übergetreten, was in Iran als Kapitalverbrechen gilt. Aus diesem Grunde nahm ihr das Regime sämtliche Auszeichnungen ab. Das Friedensnobelpreiskomitee in Oslo war geschockt und bestellte den iranischen Botschafter sofort ein. Doch Iran bestritt den Vorwurf, die Friedensmedaille gezielt beschlagnahmt zu haben.

Doch Shirin Ebadi bestätigte seinerzeit telefonisch, dass die Behörden neben der Medaille auch den Orden der Ehrenlegion und einen Ring beschlagnahmt hätten, den sie in Deutschland erhalten habe. Seit dem Wahlbetrug im Juni 2012 wurde sie massiv verfolgt und hält sich seitdem im Exil auf. Die Behörden froren daraufhin ihr Konto ein und verlangten von ihr Steuern auf das Preisgeld, obwohl dies im iranischen Steuergesetz nicht vorgesehen ist. Zug um Zug hat das iranische Regime somit ihr Leben zerstört. Shirin Ebadi kann nicht mehr im Iran als Anwältin arbeiten, all ihr Besitz wurde konfisziert. Das Regime verhaftete ihre Kollegen, nahm ihr das Richteramt und zerstörte ihre Ehe. So ist sie seit sieben Jahren gezwungen, im Exil zu leben.

Shirin Ebadi schrieb darüber ein Buch. "Es gab sie, diese Momente des Schmerzes beim Schreiben", sagte sie einem Journalisten. Aber es gab keine Alternative. Ich muss den Menschen klarmachen, wozu die iranische Regierung fähig ist. Wenn all das einer Nobelpreisträgerin angetan wird, die im Ausland große Bekanntheit genießt: Wie muss es erst all den Namenlosen ergehen, die im Iran für Menschenrechte und Demokratie kämpfen? Seit damals hat sich für mich nichts verändert, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Was mir angetan wurde, geschah nicht wegen des Nobelpreises. Sondern wegen meiner Arbeit. Der Kampf für Demokratie und Menschenrechte im Iran hat seinen Preis. Das habe ich immer gewusst."

Shirin Ebadis Ehe wurde geschieden, nachdem die Justiz ihren Mann unter Folter gezwungen hat, sie öffentlich aufs Übelste zu diffamieren und zu verleumden. Dieses Video wurde im Fernsehen ausgestrahlt. Ihr Mann lebt heute gebrochen im Iran. Das iranische Regime setzt auf das Gefühl der Schande, um die Menschen zum Schweigen zu bringen. Doch Shirin Ebadi schweigt nicht. Sie schrieb darüber in ihrem Buch. Es sollte keine Tabus enthalten. Das ist der traurige Preis des Kampfes für Freiheit. Auf der Welt würde sich nichts ändern, wenn alle nur an ihren persönlichen Vorteil dächten.

Das Ansehen des Iran scheint seit Abschluss des Atomabkommens zu steigen. Zu dem Fall der Sanktionen meint sie, dass das iranische Volk hat lange genug darunter gelitten habe. Ihr Kampf war stets darauf ausgerichtet, die Lebensumstände im Iran zu verbessern. Ohne das Nuklearabkommen wäre die Lage der meisten Menschen im Iran noch verzweifelter geworden. Man sollte nicht vergessen, dass US-Präsident Obama den Kongress mehrfach gewarnt habe, dass die Alternative zu dem Abkommen Krieg bedeuten könnte. Sie wäre und sei gegen einen militärischen Angriff auf ihr Land. Darum habe sie das Abkommen unterstützt und tue das weiterhin. Die Drohung Trumps, dieses Abkommen zu "zerreißen", nimmt sie nicht ernst, denn - noch - sei er kein Alleinherrscher.

Doch was sie stört, ist das Verhalten mancher europäischer Politiker. Diese Leute führen die Menschenrechte zwar ständig im Munde. Aber sie tun wenig dafür, ihnen zur Geltung zu verhelfen, wenn es darauf ankommt und lassen sie bei ihren Wirtschaftsverhandlungen außen vor. Zum Beispiel würde jede westliche Politikerin, die in den Iran fährt, dort ein Kopftuch tragen, während sie sich in ihrer eigenen Heimat vehement gegen einen Kopftuchzwang wehrt. Damit beginnt schon eine Verletzung. Warum wehren sie sich nicht dagegen, wenn sie den Iran besuchen? Die Ausrede, sie täten das aus Respekt für die Landeskultur, lasse sie nicht gelten. Das sei Heuchelei. Sie tragen es, weil sonst kein Nukleardeal und auch keine Wirtschaftsverträge mit dem Iran unterzeichnet werden.

Zu dem wiedergewählten Präsidenten Rohani meint Shirin Ebadi: Er gilt im Westen als moderat, doch ist unter ihm die Zahl der Todesurteile stark gestiegen. Was leicht vergessen wird, er ist ein Hardliner der ersten Stunde und hat damals schon unter Chomeini viele Hinrichtungen veranlasst. Allein bei einer Massenhinrichtung im August 2016 wurden 20 Menschen gehängt. Zwischen dem ehemaligen Präsidenten Ahmadinedjad und dem jetzigen Hassan Rohani gibt es nur einen Unterschied: Rohani lächelt in die Kameras. Laut der iranischen Verfassung hat der Präsident ohnehin so gut wie keine Macht. Ob er nun Ahmadinedjad heißt oder Rohani. Ob ein Atomabkommen unterzeichnet wird oder nicht. Das hat alles keinen entscheidenden Einfluss auf die Politik des Regimes. Entscheidend ist die Stimmung im Volk. Die wachsende Unterdrückung im Iran ist eine Folge der wachsenden Unzufriedenheit der Menschen, die immer offener kundgetan wird. Darum reagiert das Regime mit so viel mehr Hinrichtungen, um die Menschen mundtot zu machen.

Das Heimweh bleibt. Shirin Ebadi reist zehn Monate im Jahr, um sich für die Menschenrechte im Iran einzusetzen. Sie hat das Gefühl, eine Sprecherin des iranischen Volkes zu sein. Ihre Heimat trägt sie im Herzen und leidet. Aber das hält sie nicht davon ab, ihre Arbeit zu tun. Halt findet sie auch bei ihren beiden Töchtern, die mittlerweile im Ausland leben. Sehr oft denkt sie an ihre Kollegen im Iran, die daheim und in Haft blieben, an Menschen wie Narges Mohammadi und Abdolfattah Soltani.

Shirin Ebadis neues Buch ist aufrüttelnd und persönlich und erzählt über die Angriffe des Iran auf sie und ihre Familie.

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