Konferenz-Beitrag von Barbara Naziri
 "Freiheit ist ein Vogel"


(Barbara Naziri im Gespräch mit Prof. Dawud Gholamasad)

Ich freue mich sehr, heute hier zu sein und möchte mich ganz herzlich bei den Veranstaltern für die Einladung zu dieser Konferenz bedanken.

Mich hat die Niederschlagung der Grünen Bewegung 2009 eine Zeitlang sprachlos gemacht wie auch die einseitige Berichterstattung der westlichen Medien, die der Opposition im Iran mehr hinderlich als förderlich waren. Um meine eigene Sprachlosigkeit zu überwinden und eine andere Sicht zu eröffnen, ja, um eine Brücke zu bauen, habe ich meine jahrelangen Aufzeichnungen und Erlebnisse im und über Iran nun veröffentlicht. Mein Buch „Grüner Himmel über schwarzen Tulpen“, gerade frisch auf dem Büchermarkt, reist mit mir in den Iran.

Die Fahrt zum Flughafen wird kurzweilig. Unser Taxifahrer ist Iraner. „So, so, Sie fliegen nach Iran. Das gibt mir jedes Mal einen Stich ins Herz, wenn jemand dahin fliegt. Manchmal packt mich das Heimweh. Aber rüber fliegen, nein. Meine Kinder haben das Land kaum gesehen. Wie sollen sie da klarkommen, wenn sie nur hier leben. Und den Bezug zum Iran, den haben sie nicht wirklich. Gut, sie sprechen zwar Farsi, aber sie können es weder schreiben noch lesen. Und auch sonst …“ Er seufzt, „Was sollen die Mädchen dort? Ich hätte ständig Angst um sie.“ Am Flughafen wünscht er uns: „Safar bekhayer – gute Reise! Und grüßen Sie Iran!“

Als wir an diesem kühlen Frühlingstag nach Teheran fliegen, liegt mein druckfrisches Iranbuch in Geschenkpapier verpackt, gut verstaut in meinem Koffer. Ich habe versprochen, es der Familie mitzubringen, die den Inhalt nur ansatzweise kennt, und hoffe, dass kein Kontrolleur die Packung beschädigt. Im Flugzeug herrscht derweil Heiterkeit. Alle freuen sich auf das bevorstehende Norusfest und das Wiedersehen mit Freunden und Verwandten. Mit Betreten der iranischen Maschine müssen sich vor allem die weiblichen Passagiere der Kleiderordnung unterwerfen. Doch die Frauen denken nicht daran. Viele tragen kein Kopftuch, einige haben sich ihrer Mäntel und Jacken entledigt und sitzen munter schwatzend beieinander. Im Gegensatz zum Jahr 2009, als eine Stewardess die Passagierinnen wiederholt aufforderte, sich zu bedecken und woran sich schon damals niemand hielt, unterbleibt diese Aufforderung ganz. Das Personal ist freundlich und Frauen, die sich verschleiert halten, sehe ich nur vereinzelt. Plötzlich ertönt die Ansage: „Wir werden in Budapest einen Zwischenstopp einlegen, um die Maschine aufzutanken“. Allgemeines Murren. Beim Buchen war davon nicht die Rede. Das Embargo der europäischen Staaten, iranischen Maschinen ab sofort kein Benzin mehr zu geben, trifft auch uns. Budapest, Belgrad und Wien scheinen da noch Ausnahmen. Doch wie lange? Während in Budapest unser Flieger aufgetankt wird, stehen draußen ein paar Leute, die emsig die Maschine fotografieren. Wir werden zur Touristenattraktion. Irgendwie demütigend. Hinzu kommen zwei Stunden Zeitverlust.

Was die Inlandsflüge betrifft, ist es nicht besser. Die Regionalmaschinen, ausschließlich ausrangierte russische Flugzeuge, sind marode, und hin und wieder stürzen einige ab. Wir fahren später lieber mit dem Auto durchs Land. Doch auch das ist nicht ungefährlich. Iran führt die Weltrangliste der Verkehrstoten an. Allein Norus sterben dieses Jahr 20 Menschen auf Teherans Straßen.

Am Vorabend vor Norus gleicht die Stadt wie immer einem Ameisenhaufen. Überall stehen Behälter mit Goldfischen und Sabsi, das Grün, das uns Hoffnung und Segen verheißt. Doch die Luft ist Ethanolgeschwängert und das Atmen fällt nicht leicht. Seit sich das Embargo verschärft hat, fehlt Iran die Möglichkeit, bleifreies Benzin herzustellen und nun haben wir fast die alten Zustände wie vor 10 Jahren. Das Leukämierisiko ist gerade in Teheran mit seinem hohen Verkehrsaufkommen immens. In der Tat sehe ich immer mehr Menschen mit Atemschutzmasken. Der Benzinpreis hat sich übrigens innerhalb von zwei Jahren vervierfacht. Kostete 2009 eine Tankladung noch 3 €, so sind es jetzt 14 € im Lande des Erdöls.

Die Inflation schreitet in großen Schritten voran. Was der Staat mit seinen Einnahmen macht, bleibt den Menschen eher verborgen. Hinter vorgehaltener Hand wird spekuliert, dass viele Gelder in dunkle Kanäle fließen. Die Preise für Lebensmittel sind in die Höhe geschnellt und fast so hoch wie in Deutschland, wobei zu bedenken ist, dass die Gehälter nicht mitwachsen, also eher ein Drittel unserer Einkommen betragen. Die Inflation trifft besonders die Kleinverdiener und kinderreichen Familien. Viele Menschen versuchen ihr Erspartes in Goldmünzen anzulegen, obwohl der Zinssatz für Spargeld mit 12 % auf den ersten Blick recht hoch erscheint. Doch man kann fast zuschauen, wie schnell das Geld an Wert verliert. Das Reisen im eigenen Lande wird ebenfalls zum Luxus, denn auch die Hotelpreise sind immens gestiegen. Und dennoch hat es mich verwundert, wie rammelvoll die Teheraner Läden in Haft Hos und an der Vali Asr sind, denn es wird nicht nur geschaut, sondern auch fleißig gekauft. 

Als ich in den Wagen steigen will, rutscht mein Rusari herab, sodass ich mit entblößtem Kopf auf der Straße stehe. Ein Bauarbeiter, der gegenüber auf dem Gerüst steht, ruft herab: „Ach, haben wir jetzt wieder eine Revolution?“ „Ja, die Mullahs sind weg und der Schah ist zurück“, ruft meine Freundin Sima scherzhaft hinauf. „Aber auch der wird nicht lange bleiben!“, werfe ich ein. Da formt er seine Hände zum Trichter: „Seid vorsichtig! Gestern erst haben sie im Gefängnis Gorhadascht einen Aufstand niedergeschlagen.“

Es wird Abend in Teheran. Auf der Vali Asr, wo einst ein grünes Meer für die Freiheit marschierte und laut sang „Ma hame baham hastim, na tarsin, na tarsin! – Wir sind alle zusammen und fürchten uns nicht!“, fließt zähflüssig der Verkehr. Wir stecken im Festtagsstau. Plötzlich kommt Hadji Norus angehüpft und tanzt um unseren Wagen, begleitet vom allgemeinen Hupkonzert der Wartenden. Fröhlich schwingt er sein Tamburin. Dann klopft er an die Scheibe und zeigt sein geschwärztes Gesicht: „Der Frühling ist nah“, singt er, „und das hoffnungsvolle Grün wird wieder wachsen.“ Ach, wie gerne würde ich daran glauben. Da streckt er die Hand hinein, damit wir ein paar Scheine herüberwachsen lassen. Er wünscht uns ein glückliches neues Jahr und verschwindet in der Dunkelheit.

Noch um 11 Uhr nachts sind die Läden geöffnet. Ein paar junge Obstverkäufer albern herum und ich mache ein paar Fotos. Während wir lachen und scherzen, gewahrt Saeid einen Mann, der mich scharf beobachtet. Unauffällig warnt er mich. So wie wir in Deutschland die Bahnkontrolleure sofort erkennen, verhält es sich im Iran mit den Zivilpolizisten des Regimes. Auch die jungen Männer haben ihn erkannt. Einer preist ihm sofort eine Staude Bananen an: „Chast-e na baschi Agha, welch herrlich süße Bananen. Heut mache ich einen Sonderpreis, obwohl vor Norus alles teurer ist.“ Ein anderer schleppt eine Kiste Orangen herbei. Der Mann ist abgelenkt und wir ziehen uns unauffällig zurück.

Im Wagen sagt Sima zu mir: „Weißt Du, sie streifen in letzter Zeit verstärkt durch die Stadt, um die Menschen einzuschüchtern. Nicht nur das. Sie haben den Feuersprung vor Norus verboten, weil sie befürchteten, die Menschen würden sich wieder gegen sie auflehnen. Doch die Feuer haben gebrannt und die Menschen sind gesprungen.“ „Und?“, frage ich. „Ja, sie haben auch einige festgenommen.“
Seit Ahmadinedjad durch seinen Supergau abermals an die Macht gelangte, hat sich die politische wie auch die soziale Situation im Iran weiter verschlechtert. Die grüne Farbe der Freiheitsparolen an den Häuserwänden wurde schwarz übermalt. Chamenei hat das iranische Volk verraten, als er sich auf die Seite von Ahmadinedjad schlug. Dabei übersah er, was die Menschen im Iran eigentlich wollten, nämlich Veränderung und keinen Sturz des Regimes. Das wäre zu utopisch gewesen. Chameneis Chance ist vertan, den Weg zu ebnen, indem er die Reformer in die kriminelle Ecke rückte. So hat er eher Schwäche statt Stärke bewiesen. Und er bleibt nur ein Schatten in der Geschichte, der irgendwann vergessen wird.

Nun geht eine Nachricht durch die Medien, welche die Menschen aufschreckt. Der Staat nimmt ab sofort Säuberungen vor. Nichtregimegetreue werden künftig ihres Amtes enthoben und durch Anhänger der Islamischen Republik ersetzt.      

Indes hat unter Ahmadinedjad die Präsenz der Pasdaran im normalen Alltag sichtlich zugenommen, ob in den Ämtern oder auf der Straße. Bekannt sind sie vor allem durch ihre Gewaltausübungen gegenüber Andersdenkenden. Darum wirkt ihr Auftreten bedrohlich, wenn sie sich mitten auf der Fahrbahn platzieren, um willkürlich Autos zu kontrollieren. Ich entdecke sie ein paar Mal hinter der Parastoobrücke, wo sie regelmäßig aufkreuzen, weil man sie von weitem nicht erkennen kann.

Der Informationsfluss im Iran durch staatliche Medienorgane wird auf das Minimale beschränkt. Aufstände, Steinigungen, Inhaftierungen, voraussichtliche Hinrichtungen werden in den Nachrichten unterschlagen. Auch der Fall Sakineh Ashtiani, der in Europa viel Aufsehen erregte, wurde hier nur als Spot erwähnt und ansonsten geflissentlich übergangen. Stattdessen wird allabendlich in der Zeit von 19 – 21 Uhr eine Sendung ausgestrahlt, die sich ausschließlich über religiöse Inhalte auslässt, also das Übliche: Gebete, untermalt von politischen Phrasen. Nur über das verbotene Satellitenfernsehen oder aus dem Netz, soweit dies nicht beschnitten ist, lässt sich noch etwas herausholen. Doch durch den massiven Druck des Regimes, Handybotschaften und Internet zu überwachen, bleiben etliche Menschen dem Netz fern und das hemmt den Informationsfluss. Ich selbst habe erlebt, was es heißt, in einem zensierten Netz zu surfen, als ich mir in der Familie ein Laptop auslieh. Statt der angestrebten Seite erscheint in Kurzform der Vermerk: Gesperrt, da obszöne und schädliche Inhalte. Es waren irankritische Seiten von hiesigen Freunden.

Von Festnahmen erfahren die Menschen nur etwas, wenn unmittelbar der eigene Kreis betroffen ist, also Familie, Freunde oder Nachbarschaft. Selbst die Festnahmen der Kandidaten der Grünen Bewegung Mussawi und Karoubi sowie deren Frauen, wurden der Bevölkerung lange verschwiegen. Ich erfahre, dass die Leichen Inhaftierter, die in den Gefängnissen auf unerklärliche Weise zu Tode kommen, nur an die Verwandten übergeben werden, wenn sie diese heimlich und ohne Aufsehen bestatten und darüber nichts verlauten lassen. Die Hinrichtungen häufen sich und sie betreffen oft Oppositionelle. Es heißt, alle zwei Tage ein Mensch. Was die Verletzung der Menschenrechte betrifft, hat Iran inzwischen eine traurige Führungsrolle übernommen. Es gibt einen winzigen Hoffnungsschimmer. Die Madjlis, das iranische Parlament, ist entzweit. Hier verliert Ahmadinedjad mittlerweile mehr und mehr Rückhalt und es wird gemunkelt, dies könnte seiner Amtszeit vorzeitig das Aus bringen.

Die Familie ist besorgt. Sie bittet mich, von meinen Wunsch abzusehen, zum Laleh-Park zu gehen, um mit den Müttern in Trauer zu sprechen. Jeden Freitag, wenn die Mütter dort demonstrierten, sind vermehrt Patroullien unterwegs und Personen, die Kontakt suchten, geraten sofort ins Visier. Ich verzichte schweren Herzens. Gleichzeitig aber packt mich ein Zorn auf diese jähe Willkür. Die Mütter mit den Löwenherzen, die bereits einige Male festgenommen wurden, haben ihre Kinder an einen Gottesstaat verloren, dem so gar nichts Göttliches anhaftet. Wie sehr muss sich das Regime vor ein paar Frauen fürchten, die es regelmäßig abführt und schikaniert, obwohl es ihnen bereits die Kinder nahm?

So gehe ich in einem anderen Park spazieren. Von hier aus hat man einen herrlichen Blick auf Teheran. An diesem Norustag ist der Park nahezu leer. Dafür herrscht ein starkes Wächteraufgebot. Ich lese das große Schild am Eingang. Es weist mich auf die Kleiderordnung hin und fordert mich auf, sie einzuhalten mit dem Vermerk, eine anständige Muslimin zu bleiben. Inzwischen habe ich es aufgegeben, mich jedes Mal darüber zu ärgern. Als ich in einen schmalen Rundweg einbiege, treffe ich auf ein paar Sportler und wir kommen schnell ins Gespräch. Rubina, eine Armenierin und Wortführerin der kleinen Gruppe, hat ihr Tuch einfach abgelegt. Irgendwann kommen wir auch auf die Lage im Iran zu sprechen. Als wir uns verabschieden, sagt Rubina: „Die Grüne Welle lebt im Verborgenen, doch sie ist ihrer Kraft beraubt. Wir glaubten an den Frieden, doch mittlerweile packt mich der Zorn, wenn ich sehe, was aus unserem Traum geworden ist. Die Welt hat uns scheinbar auch vergessen. Wir haben friedlich demonstriert und diese Verbrecher haben einfach in die Menge geknallt. Ich bin zwar Christin, aber die andere Wange halte ich nicht hin. Im Gegenteil“, schließt sie hitzig. „Erst wenn alle Köpfe der Schuldigen hier in den Zweigen hängen, wird Veränderung sichtbar.“ Betreten gehen wir auseinander.

Die erste Menschenrechtscharta der Welt, der Zylinder des Königs Koroush (Cyrus II.), stammt aus dem Iran. Als Beutegut dem Land geraubt, hat er nun seinen Platz im Britischen Museum gefunden. Vor kurzem wurde er dem iranischen Nationalmuseum in Teheran als Leihgabe übergeben und viele Iraner strömen dorthin, um wenigstens einen Blick darauf zu erhaschen. Ein seltsames Gefühl, dass ein wichtiger Teil Irans wie selbstverständlich in fremden Händen ruht. Aber ist das so widersinnig? Waren wir nicht über 100 Jahre unter fremder Besatzung? Erst Russen und Briten, später die Amerikaner. Kam es danach nicht noch dicker, als selbst die eigenen Landsleute uns um unsere Freiheit und Ideologien betrogen und uns den Gottesstaat aufs Auge drückten? Je mehr ich den Zylinder betrachte, desto nachdenklicher werde ich. Koroush hat einst mit seinen Gedanken die Welt verändern wollen, zumindest seine Welt. Doch für mich wirkt der Zylinder mit den beiden zersplitterten Scherben wie ein gebrochenes Versprechen. Seine Gedanken scheinen unsterblich in den Ton gebrannt. Doch die Scherben sind ein Abbild dessen, wie vergänglich auch Versprechen sein können. Und der heutige Iran dreht unter dem Tschador der Knechtschaft am Weltenrad, das schwer wie ein Mühlenstein an seinem Hals hängt.

Wir bereisen Persepolis, Isfahan und Schiraz, weil wir jedes Mal, wenn wir im Iran sind, ein besonderes Stückchen Erinnerung mit nach Deutschland nehmen wollen. In Schiraz spricht uns ein Schirazi auf der Straße an. „Ich habe eine Zeitlang in Deutschland gelebt“, erklärt er uns. „Was halten Sie davon, wenn ich Ihnen ein bisschen die Stadt zeige, kleine Edelsteine, die Sie auf Anhieb nicht entdecken.“ Dieses Angebot können wir schlecht ablehnen. So komme ich in den Genuss, die älteste Madrase der Stadt – die Madrase-e Khan – zu besuchen, die den Frauen sonst verschlossen bleibt. Im Hof der Madrase stehen die Pomeranzen in voller Blüte und ihr lieblicher Duft erfrischt das Gemüt. Darunter hocken ein paar Mullahs, vertieft in ihre Schriften. Mir kitzelt es in den Händen, die Kamera zu benutzen, doch die Mullahs bitten mich, keine Aufnahmen von ihnen zu machen. Plötzlich setzt ein Platzregen ein. Da nimmt einer der Mullahs seinen Turban ab und eilt mit einem Metallgefäß herbei, das er in die Mitte des Hayats stellt. Wir grinsen. „Das ist aber praktisch, um sich den Abwasch zu ersparen.“ Doch der Mullah klärt uns auf. „Das ist Frühlingsregen“, sagt er lächelnd. „Zum Norus bringt es Glück, ihn zu trinken und alle guten Wünsche werden sich dann erfüllen.“ Dann reicht er uns zwei Pomeranzenfrüchte. Sie sind saftig, voller Kerne und schmecken etwas bitter – eben wie Iran.

Mein Schwager Navid hat sich einen Hund aus Malaysia mitgebracht, einen Pudel, der ihn auf Schritt und Tritt begleitet und der ihm augenscheinlich ans Herz gewachsen ist. Seine Kinder studieren beide in Kuala Lumpur und hatten sich unüberlegt das Tier angeschafft. Da sie nicht viel mit dem Hund anfangen konnten, hat er ihn mit nach Teheran gebracht. Ein fataler Fehler, wie sich bald herausstellen wird. Dem Regime sind die Hundehalter schon lange ein Dorn im Auge. Ein Hund gilt als unrein und unislamisch. Noch während wir in Teheran sind, wird ein neues Gesetz erlassen, dass die Haltung von Hunden nur auf die Wohnung beschränkt. Das heißt, ein Hund darf weder auf der Straße, noch im Park, noch im Auto sitzen. Zuwiderhandlung, tönt die Stimme des Radiosprechers, wird mit der sofortigen Erschießung des Tieres geahndet.

Schönheitsoperationen sind im Iran so normal wie hier ein Besuch bei der Kosmetikerin. Mit ihren unzähligen Schönheitseingriffen sind Iraner weltführend. Es sind nicht nur die Frauen, die sich unter das Messer legen. Ich frage mich, sind diese äußerlichen Veränderungen ein Sinnbild dafür, dass sich auch innen etwas tun muss? Oder sehe ich das alles zu philosophisch? Warum gerade in einem Land, in dem die Frau doch nur ihr Gesicht frei zeigen darf? Oder gerade darum? Kann ein gesellschaftlicher Widerstand gegen die Kleiderordnung nach und nach auch politische Veränderungen nach sich ziehen? Schaue ich in die stark bemalten Gesichter, frage ich mich: Ist das der richtige Weg? Wird hier nicht der Oberfläche zu viel Platz eingeräumt und weniger Mühe auf den Hintergrund angewandt? Wie auch immer, es ist ein stiller Widerstand gegen die auferzwungene Kleiderordnung. Und letztendlich habe ich mich selbst dabei ertappt, dass ich mich im Iran stärker schminke.

Meine bildhübsche Nichte hat Psychologie studiert und ich bin überrascht, dass sie nun als Assistentin und Modell bei einem Weddingplaner arbeitet. Oh ja, die Heiratsplaner gibt es tatsächlich in Teheran, ein florierender aufsteigender Geschäftszweig. Ich frage meinen Schwager, ob er sich das Studio mal angeschaut hat, denn die gelungenen Aufnahmen von meiner Nichte überraschen mich schon. Aber die Antwort meines Schwagers überrascht mich noch mehr: „Da gehe ich nicht hin. Das ist ein Hisbollah, der fünfmal am Tag betet. Außerdem spendet er regelmäßig Almosen für die Moscheen.“ Hm. Ich frage Minou nach ihrem Boss.

„Ach, der ist ganz in Ordnung. Du kennst doch Papas Ansichten.“

„Kannst Du mich mal dorthin mitnehmen?“

„Aber klar doch. Ich mache einen Termin und dann kannst Du Dich in Ruhe mit meinem Chef unterhalten.“ Ich bin begeistert.

Iran ist trotz seiner hohen Scheidungsrate – fast jede zweite Ehe wird geschieden – ein heiratsfreudiges Land. Viele Ehen – und das ist neu – werden wegen Drogensucht geschieden. In unserer eigenen Familie und Bekanntenkreis gibt es dafür zwei Beispiele. Drogen sind mittlerweile leicht zu haben, so als kaufe man Zigaretten – und genauso billig. Der Nachbar Afghanistan macht es möglich, denn durch Iran führt der Transitweg. Die Drogensucht lebt nicht etwa versteckt, sondern ist auf den Straßen offensichtlich und trifft vor allem die jungen Menschen, die keine Perspektive in ihrem Leben sehen. Nie ist mir das so sehr aufgefallen, wie bei meinem letzten Besuch in Teheran, das eine weitere Kulisse der Süchtigen wurde. Erstaunlich ist auch der rege Handel mit Drogen, obwohl darauf die Todesstrafe steht. Die Angst vor der Realität scheint größer als die vor dem Tod.

Ich besuche das Weddinginstitut. Es liegt in den Kellerräumen eines Mehrfamilienhauses. An der Tür empfängt mich freundlich die Schwester des Inhabers und führt mich durch eine weitläufige Halle, die mit Designer-Mobilar ausgestattet ist. An den Wänden hängen überdimensionale Porträts, von denen mich zwei Models, elegant gekleidet und gekonnt geschminkt, anlächeln, bevor ich in dem bequemen Sessel in seinem Büro versinke. Er bringt mir sofort einen Tee und fragt mich, ob ich etwas essen möchte. Dann gesellt er sich zu mir und ich darf meine Fragen stellen. Sein Lebenslauf ist schnell erzählt, denn er ist erst 33 Jahre alt. Im Alter von 17 Jahren hat er geheiratet und arbeitete als Kühlschrankverkäufer. Schon damals war sein Hobby die Fotografie. Siebenundzwanzigjährig erlitt er einen Herzanfall. Das hat ihn bewogen, sein Leben zu verändern und sein Hobby zum Beruf zu machen. Er machte eine Ausbildung und baute nach und nach dieses Studio auf. Inzwischen ist er ein anerkannter Fotograf und Weddingplaner. Mittlerweile arbeiten 8 Mitarbeiter für ihn, Designer, Cutter, Fotografin und Programmierer. Seine Geschäfte gehen gut. Er zeigt mir Filme und ästhetische Fotoaufnahmen, die mir den Atem stocken lassen. Nur mit Muscheln bekleidete Mädchen in der Wüste. Die Männer tragen auch nicht viel mehr. Nun brennt mir aber doch eine Frage auf den Lippen: „Wie können Sie Ihre Arbeit mit Ihrer Religion vereinbaren?“, frage ich auf die Gefahr hin, dass er mich daraufhin rausschmeißt. Er lächelt. „Ganz einfach. Mein Glaube ist meine Privatsache. Dies hier ist meine Arbeit und ich sehe keinen Widerspruch darin.“ Beeindruckt verabschiede ich mich, trifft seine Aussage doch den Kern, nämlich den Glauben zu leben und sich dem Leben nicht zu verschließen.

Bevor ich Abschied nehme, machen wir auf dem Friedhof Beheshteh Zahra unsere Totenbesuche. Ich möchte unbedingt zu Nedas Grab. Wir müssen lange suchen und umherfahren, bis wir es finden. Meine Familie ist in Alarmbereitschaft, denn es heißt, dass sich hier öfter Bassidji herumtreiben und die Besucher schikanieren. Aber heute ist niemand zu sehen. Als ich an der Grabplatte verharre und eine weiße Rose niederlege, schießen mir die Tränen in die Augen. Dort, wo Nedas Gesicht eingraviert ist, zeigen sich mehrere Einschüsse. Nicht einmal hier lassen die Fehlgeleiteten von ihr ab. Lange kann ich nicht bleiben, denn ich sehe, wie ängstlich sich meine Begleiter immer wieder umschauen. Während ich niederknie, formt sich ein Gedicht auf meinen Lippen: „Neda“:

Ich grüße Dich, Tochter von Teheran,
und streich Dir den Staub von den kalten Wangen.
Das Pflänzchen Grün, das die Hoffnung trug,
wurde niedergetreten und ist vergangen.

Ich wasche Dein Antlitz mit Rosenwasser
und richte Dir Dein Blumenkleid.
Die Sonne wärmt den schwarzen Stein,
der trunken von Tränen, geschändet im Leid.

Nun greift der Wind singend meinen Schleier
und pflückt mir die Worte, die ich noch hab,
von den Lippen und trägt sie mit sich fort.
Still leg ich die weiße Rose auf’s Grab.

Ein Raunen und Flüstern dringt betend zum Himmel,
der sich grün über schwarzen Tulpen erhebt,
und neben mir singen die Toten Lieder:
Gib nicht auf, solange die Hoffnung noch lebt.

Was habe ich mitgenommen bei meiner letzen Reise in den Iran? Der Umbruch in den arabischen Ländern wird auch im Iran genau beobachtet. Hier ist die Hoffnung auf baldige Veränderung gedämpfter. Zwei Jahre nach ihrem Aufleben scheint die Grüne Bewegung nur noch ein Schatten ihrer selbst zu sein, denn der Druck von Seiten des Regimes auf die Menschen hat sich weiter verstärkt.

Die westliche Sicht, den Islam zu verteufeln, endet in einer Sackgasse. Dies erzeugt Mauern, statt Brücken zu bauen. Zweifelsohne ist der Islam reformbedürftig. Doch darüber dürfen wir nicht vergessen, dass die Religion bei der islamischen Revolution als Instrument missbraucht wurde. Wenn wir das nicht anerkennen, würden wir damit die friedlichen Gläubigen vor den Kopf stoßen und einen Umdenkungsprozess verhindern. Offensichtlich ist, dass auch die Mullahschaft im Iran sich spaltet, besonders seit dem Wahlbetrug. Für uns gilt es, jene zu unterstützen, die sich für eine Trennung von Staat und Religion aussprechen. Schon bei der Grünen Bewegung sah man auch Geistliche mitmarschieren, die sich grüne Bänder um den Turban gewunden hatten. Mich hat die Grüne Bewegung tief beeindruckt, die wie eine Welle aus dem Volk wuchs mit der großen Sehnsucht nach Freiheit und Frieden, denn sie einte auch die unterschiedlichsten Gruppierungen. Darum appelliere ich dafür, Lippenbekenntnissen vor allem Taten folgen zu lassen. Das gilt besonders für die Politiker, die auch hier klare Worte finden müssen. Was die Menschen im Iran brauchen, ist das Versprechen des Westens – Wir stehen hinter euch – und eine nachhaltige Ermahnung an das Regime, die Menschenrechtsverletzungen zu unterlassen.

Zur Noruszeit werden im Teheraner Basar gefangene Spatzen an die Besucher verkauft. Warum? Um sie in die Hand zu nehmen und ihnen die Freiheit zu schenken. Die Sehnsucht nach Freiheit ist ungebrochen und symbolisiert diese Aktion. Und ich frage mich: Wo ist die Hand, die dem Vogel Iran die Freiheit schenkt?