"Die Bürger wollen ein Ende des Systems von Velayat-e-faghi"
Beitrag von Dr. Mostafa Azmayesh, Internationale Organisation zum Schutz der Derwische im Iran
Der Beitrag unterscheidet zwischen der "Grünen Bewegung" als Bürgerbewegung, die auf ein Referendum über die Frage des Systems zusteuert und unterschiedlichen Fraktionen innerhalb der "Grünen Bewegung", die im Rahmen der bestehenden Verfassung der Islamischen Republik mit dem Prinzip der Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten verharrt. Er verweist auf eine Gefahr, dass bestimmte Protagonisten die "Grüne Bewegung" für ihre Zwecke missbrauchen und dadurch die Forderungen der Bevölkerung im Iran ins Leere laufen lassen.
Zu Beginn möchte ich Herrn Mehdi Karoubi, einen der vier Präsidentschaftskandidaten von 2009, der schon mehr als 120 Tage in seinem Haus unter Arrest steht, zitieren: "Das System in Iran ist weder ein islamisches, noch ein republikanisches System. Hinter dem Etikett der Islamischen Republik Iran waltet ein chaotisches System ohne jeglichen Zuspruch der Bürgerinnen und Bürger und ohne jegliche Legitimation, das ausschließlich auf nackter Gewalt beruht und seine Bürger durch Folter, Verhaftungen, Hinrichtungen und staatlich beauftragte Morde in Angst und Schrecken versetzen will.
Wer darüber spricht, dass die Islamische Republik Iran noch am Leben sei, sollte lieber die auf Fakten basierende Realität akzeptieren, dass dieses System ausgedient hat und auf der Schutthalde der Geschichte liegt. Dieses System wurde durch Leute erledigt, die dem Land jetzt vorstehen und es versuchen zu regieren, die keinerlei revolutionäre Vergangenheit haben und die nur an Reichtümern und Macht interessiert sind.
Die Bürger, die auf die Straße gehen, konfrontieren genau dieses chaotische System. Für manche Kommentatoren ist es nicht deutlich, ob die Bürger um die Genesung des Systems kämpfen oder um die völlige Beseitigung des Systems. Meine Einschätzung ist, dass die Bürger um eine Neuordnung kämpfen und das System von Velayt-e-faghi aufgeben wollen. Doch für welches alternative System sie kämpfen ist mir auch nicht deutlich. Der einzige Weg das herauszufinden ist eine Volksabstimmung in Form eines Referendums, das die zukünftige Herrschaftsform im Iran zum Ziel hat. Nur dann wird klar sein, wohin die Bürgerinnen und Bürger hin wollen.
Zunächst wird es darum gehen, dieses System ganz zu Fall zu bringen und später mit Hilfe eines Referendums ein neues, legitimiertes System durch die Bürger entscheiden zu lassen." So weit Mehdi Karoubi.
Was Karoubi damit sagt, unterscheidet sich diametral zu den Aussagen von Mousavi und seinen vermeintlichen Sprechern und Beratern. Wenn man Mousavis "Grünen Pakt" ernst nimmt, ergibt sich daraus, dass er die Bürgerbewegung im Rahmen der Verfassung der IRI hält, da der "Grüne Pakt" der Verfassung in keinem Punkt widerspricht und das Prinzip der Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten unangetastet lässt.
Es gibt es also einen entscheidenden Unterschied zwischen den beiden als Führer der Grünen Bewegung bezeichneten Mousavi und Karoubi. Karoubi geht weit über Mousavis Standpunkt hinaus.
Die Verfassung der IRI beruht auf Velayat-e-faghi. Mousavi unterwirft sich diesem Prinzip. Das führt nicht in die Zukunft. Karoubi hingegen spricht vom Ende dieses Systems und geht einige Schritte weiter als Mousavi. Diese Schritte öffnen einen Weg in die Zukunft Irans.
Retrograde und regressive Kräfte
Es gibt Persönlichkeiten wie z.B. Mohsen Kadivar, die von "Religiöser Demokratie" sprechen und glauben mit einem System einer "Religiösen Demokratie" das beste System zu schaffen. Ich habe großen Respekt vor den wissenschaftlichen Leistungen von Herrn Kadivar, aber manche seiner Äußerungen lassen mich diese Unterscheidung treffen. Für diese Leute liegt das Problem des Landes allein in der Person Ali Khameneis. Sie finden, man müsse nur einen Führer finden, der geeigneter als Ali Khamenei ist. Diese Gedanken weisen eine rückwärtsgewandte Einstellung, die an die Zeit Ayatollah Khomeinis anknüpft.
Unsere Einschätzung des grundlegenden Problems ist, dass der Oberste Führer in einem religiös-demokratischen System über den Strukturen der Gewaltenteilung zwischen Justiz, Regierung und Parlament steht.
Noch mehr als rückwärtsgewandt müssen wir Persönlichkeiten bezeichnen, die an Ali Khamenei festhalten wollen und die lediglich Protagonisten im Umfeld von Ali Khamenei vorwerfen das System zu ruinieren. Sie stehen am Rande der Machtelite und wollen wieder ins Zentrum der Macht rücken. Sie wollen im Umfeld Ali Khameneis ihren Anteil an der Macht ausüben. Sie verlangsamen stetig den Veränderungswillen der Bevölkerung und lenken ihn um. Zu diesen Protagonisten gehören Mohammed Khatami, Ali Akbar Rafsandschani oder Mir Hossein Mousavi.
Die Bürger sind in einer Phase der Beobachtung
Beide Strömungen erwecken den Eindruck, die grüne Bewegung stehe geschlossen hinter Mousavi. Diese Ambitionen zielen darauf hin, die vielfältige Bürgerbewegung im Rahmen der bestehenden Verfassung zu halten und das Prinzip des Velayat-e-faghi beizubehalten. Beide Strömungen arbeiten daran Ali Khamenei zu überzeugen eine Zeit der nationalen Versöhnung einzuleiten. Dazu solle er die politischen Gefangenen aus den Gefängnissen entlassen und alle Parteien für die nächsten Parlamentswahlen in 9 Monaten zulassen. So verlockend diese Wünsche sich in reformorientierten Ohren anhören mögen, um so zerstörerischer werden die Auswirkungen einer Versöhnung nach diesem Muster sein. Unter dem Etikett der grünen Bewegung und der Führerschaft von Mousavi sollen die Ziele der großen Bürgerbewegung, deren Forderungen weit über den "Grünen Pakt" Mousavis hinausgehen, geopfert werden.
Während Mousavi und Karoubi unter absolutem Hausarrest stehen, hat sich die Bewegung der Bürgerinnen und Bürger ohne Führer zu einer Volksbewegung, die auf ein Referendum hinzielt, entwickelt. Falls Mousavi bald aus dem Hausarrest entlassen wird, wird er sich weit hinter der Bürgerbewegung in seinen Positionen finden und keinerlei Orientierung oder Führung anbieten können.
Manche Beobachter behaupten, die Bürgerbewegung habe sich erledigt, weil niemand mehr auf den Straßen demonstriert. Die Bürger befinden sich in einer Phase der Beobachtung. Sie beobachten den Konflikt an der Spitze des Systems zwischen dem Obersten Führer Ali Khamenei und Präsident Ahmadinedschad und stellen fest, dass selbst der Präsident des Landes nicht mehr an ein religiöses System glaubt.