Kreislauf -
für einen verschollenen Dichter

Unser Frühling kam über Nacht und
verließ uns vor Sonnenaufgang,
bevor seine Knospen erblühten.

Hass zerstörte unsere Häuser,
strömte bis in die Tiefen und
vergiftete in jähem Angriff
unsere Quelle.

Ich versteckte meine Worte
in einem Buch und verschloss
es in der Schatulle meiner Hoffnung.

Sag, mein Freund, wie
kann ich dichten
auf der Asche der Toten?

Wie kann ich dichten, dort,
wo der Sommer der Winter ist,
wo das Eis das Leben tilgt und
die Erde das Fleisch speist?

Wie kann ich lieben, dort,
wo blutige Tränen
die Nebel der Nacht sprenkeln?


Hilf mir, mein Freund!
Der Kreis des Unrechts
schließt sich mit
diesem letzten
Schrei… !

*
© Aramesh, 2012,
gewidmet dem Dichter Atolli Derakhshan

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Atolli Derakhshan, ist/war ein Dichter und Schriftsteller, der in Sari lebte. Als Bahai wurde er von der Hochschulbildung ausgeschlossen. Das Haus seines Vaters in der Ortschaft Ivel (Eivel) in Mazandaran, war eines von etwa 50 Bahai-Häusern am Kaspischen Meer, die am 23. Juni 2010 mutwillig zerstört wurden. Wie die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) berichtete, hatte eine aufgeputschte Menschenmenge die Zugänge zum Dorf blockiert und vier Radlader und mehrere LKWs in das Dorf passieren lassen, die innerhalb von zwei Tagen die Häuser der Baha'i zerstörten.
Am 21. Februar 2012 wurde Atolli Derakhshan von Agenten des Ministeriums für Geheimdienste verhaftet. Sieben Agenten durchsuchten seine Wohnung und konfiszierten alle seine Bücher, sowie religiöse CDs und Bilder, Bilder von seiner Familie und selbst eine Box mit Büchern seiner Gedichte, die mit Genehmigung des Kulturministeriums veröffentlicht worden waren.
"Die Verfolgung von Minderheiten im Iran erreichte damit einen weiteren Höhepunkt. Nicht nur das Regime von Präsident Ahmadinedschad förderte die Intoleranz und Ausschreitungen gegen die Bahai – unter Rohani ist es nicht anders. Über den Verbleib Atolli Derakshans ist nichts mehr bekannt. Er gilt seitdem als verschollen.