Die Morgenmütter mit den Löwenherzen – Madaran-e Irani
© Barbara Naziri

Es begann 1978 mit den Prozessionen trauernder Mütter für ihre im Widerstand gegen den Schah getöteten Kinder. Diese Trauerprozessionen fanden immer häufiger statt und richteten sich gegen eine seine Herrschaft. Es waren gerade traditionell muslimisch aussehenden Frauen, die kaum als ernstzunehmende politische Gegner gelten konnten, die jedoch durch ihr Auftreten Polizei und Militär in schwierige Gewissenskonflikte brachten. Vermutlich hat ihre Teilnahme an den Demonstrationen dazu geführt, dass die Uniformierten die Waffen niederlegten und sich in Massen den Demonstrierenden anschlossen. So trugen auch diese Mütter ihren Teil dazu bei, die Situation im Iran zu verändern.

Doch sie sollten bitter enttäuscht werden. Das neue Regime entpuppte sich als noch gewaltbereiter als sein Vorgänger und bereits zwei Wochen nach der Machtübernahme beschnitt es die Frauen- und Familienrechte, um sie durch das islamische Recht der Scharia zu ersetzen. Das Recht auf Scheidung und das Sorgerecht geschiedener Frauen für die Kinder wurden extrem eingeschränkt, das Mindestalter für die Verheiratung von Mädchen wurde zunächst auf dreizehn, dann auf neun Jahre herabgesetzt, Polygamie wurde erlaubt. In den 80er Jahren begann das Regime Andersdenkende massiv zu verfolgen. Reihenweise wurden junge Menschen festgenommen und oft ohne Verurteilung hingerichtet und verscharrt. So wurde in Kharavan (Süd-Teheran) ein Massengrab mit 4000 Ermordeten gefunden. Die Mütter (Madaran) der Ermordeten gründeten daraufhin eine gleichnamige Gruppe und forderten die Aufklärung dieser Massaker, auch auf internationaler Ebene. Seit nunmehr 30 Jahren halten die Mütter der Opfer ihre Anklage aufrecht. Das Regime trug sich seitdem mit der Befürchtung, dass Khawaran zur Pilger- oder Gedenkstätte wird. Um dies zu verhindern, wurde wiederholt mit Bulldozern das Gelände eingeebnet.

So zog sich jahrzehntelang eine blutige Spur durch den Iran. 2009 trieben es die Machthaber auf die Spitze, indem sie durch manipulierten Wahlbetrug die vom Volk gewählten Reformer kurzerhand absetzten und bis heute unter Hausarrest stellten. Diesmal bildete sich eine Bewegung, die alle mitriss: die “Grüne Welle“, die auch als Iranischer Frühling und als Vorreiter des Arabischen Frühlings in die neuere Geschichte eingehen sollte. Menschen zu Hundertausenden füllten die Straßen in Teheran und anderen Städten Irans und riefen. „Wo ist meine Stimme?“ oder verklebten ihre Münder mit grünen Pflasterstreifen. Sie waren unbewaffnet, denn sie wollten eine friedliche Veränderung. Doch das Regime setzte sofort eine Riesenmaschinerie von Militär- und Polizeiaufgeboten gegen sie ein und verbreitete die Lüge, die Massen seien aus dem Ausland gesteuert. Großes Leid brach über das Land herein. Wieder verschwanden junge Menschen spurlos, ohne Gerichtsverhandlung, ohne Grab – junge Menschen, die einfach nur eines wollten – ihre Freiheit. Die Studentin Neda (übers. „Stimme Gottes) wurde auf offener Straße von einem der Heckenschützen erschossen. Ihr Sterben – auf einem Handy festgehalten – ging um die Welt. Ihr Gesicht stand für eine verlorene Generation, den gescheiterten Widerstand der Kinder der Revolution.

Nedas Tod vereinigte die Mütter getöteter oder verschwundener Kinder. Sie begannen erneut, sich zu solidarisieren. Unbeirrt setzten sie ihre Mahnwachen fort. Das Bild ihrer getöteten oder verschwundenen Kinder in den Händen, hielten sie stummen Protest im Park Laleh in Teheran, was ihnen den Namen Madaran-e Park-e Laleh einbrachte. Sie forderten die Freilassung aller politischen Gefangenen. Das Regime betrachtet solche Forderungen als Verbrechen und Verrat. Selbst Mitleid für diese Familien zu zeigen, steht unter Strafe und wird mit Sippenhaft geahndet. Regelmäßig werden die Mütter verhaftet, doch gerade das erweckt den Widerstand in der Bevölkerung. Inzwischen solidarisieren sich weltweit Friedensaktivisten, Menschenrechtler und Frauenrechtlerinnen mit ihnen und machen so auf die Situation in einem gedemütigten Lande aufmerksam in der Hoffnung, dass Demokratien sich für die Menschen dort einsetzen und Druck auf das Regime ausüben, um die Einhaltung der Menschenrechte zu wahren, denn im Iran zahlen wir für Meinungsfreiheit immer noch mit dem Leben...

 


Mutter in Trauer
© Aramesh

Unter den Flügeln der Nacht
krieche ich durch die
Gassen des Vergessens.
Trunken reibe ich die verbrannten
Sterne unter meinen Augenlidern und
warte auf den jungen Morgen.

Das Dach der Sonne ruht auf
versengten Feldern und die Fontäne
einer gesummten Melodie erstirbt
durch einen Schuss.
Asche ist auf mein Haar gefallen
und die Spiegel der Erinnerung rufen
meinen Namen.

 

(Zum Gedenken an alle persischen Mütter in Trauer,
die in Teheran unerschrocken jeden Freitag in den Parks
gegen die Tötung ihrer Kinder protestieren.)

 

erschienen in: Frauenzeitschrift Antonia/Septemberausgabe 2013